Lohnt sich Baby-Zeichensprache?

Ein Baby zeigt auf etwas - zu Beginn eine wichtige Art der Kommunikation. Quelle: Shutterstock.

Zahlt sich der Gebrauch von Baby-Zeichensprache aus? Macht es Babys zufriedener? Haben die Kinder längerfristige Vorteile (z.B. beim Spracherwerb)? Oder gibt es gar negative Effekte? Von Verfechtern und Kritikern hört man alles Mögliche. Wissenschaftliche Beweise sind dünner gesät. Was lässt sich über den Gebrauch von Baby-Zeichen sagen?

Wenn euch interessiert, welche Faktoren sich generell auf den Spracherwerb auswirken, könnt ihr dies hier nachlesen.

«Mit den Händen reden» – Zeichensprache für Babys in hörenden Familien? In den USA und Grossbritannien ist das seit den 80er Jahren ein normales Bild. Der Ansatz ist dort sehr populär, in den USA bringen rund 80 Prozent der Eltern ihren Kindern die Gebärden der Baby-Zeichensprache (auch «Zwergensprache») bei. Zunehmend schwappt der Trend zu uns herüber, die Kursangebote nehmen zu, über den Gebrauch in Kitas wird nachgedacht.

Was sagt die Forschung? Wirkt sich der Gebrauch der Baby-Zeichen positiv aus?

Was ist Baby-Zeichensprache? Funktioniert sie?

  • Die Zwergensprache ist eine Gebärdensprache für (hörende) Babys (hörender) Eltern.
  • Die Kinder lernen die Zeichen und können sie ab ca. 10 Monaten nachmachen bzw. selbst anwenden.
  • Babys und Eltern können mit den Zeichen kommunizieren: Die Baby-Zeichensprache funktioniert also.

Die Zwergensprache ist eine Zeichensprache für (hörende) Babys und Kleinkinder, mit der sie mit ihren (hörenden) Eltern oder Bezugspersonen kommunizieren können. Sie beruht auf den Zeichen der Gebärdensprache für Gehörlose (vgl. Gericke 2009), die vereinfacht angewendet werden. Eine Grammatik (wie bei der Gebärdensprache) gibt es nicht. Neben Gebärden gehören auch (bei uns) übliche Gesten zur Baby-Zeichensprache.

Das Baby erlernt die Zeichen, indem die Eltern sie ihm immer wieder vormachen, während sie zeitgleich das passende Wort sprechen und – wenn möglich – das entsprechende Bild, den Gegenstand, das Tier etc. zeigen. Für Babys ist es wichtig, dass ein konkreter Zusammenhang zwischen Handzeichen (z.B. «essen» – Hand zum Mund), dem Wort («essen») und der Aktivität (gefüttert werden) besteht (vgl. Gericke 2009). Durch viele Wiederholungen lernt das Baby die Zeichen, ahmt sie nach und wendet sie irgendwann gezielt selbst an. Laut wissenschaftlicher Forschung ist das bei normal entwickelten Kindern ab einem Alter von etwa 10 Monaten der Fall (vorausgesetzt, die Zeichen wurden ab einem Alter von ca. 4 Monaten konsequent gebraucht).

Babys sind also tatsächlich in der Lage, die Zeichensprache zu lernen und zur Kommunikation einzusetzen. Die Zwergensprache funktioniert also grundsätzlich – natürlich immer davon abhängig, wie umfassend die Bezugspersonen die Zeichen anwenden. So weit, so gut. Klappt das mit allen Zeichen gleich gut oder gibt es Unterschiede?

Bei der Baby-Zeichensprache (wie bei der Gebärdensprache auch) gibt es zwei unterschiedliche Arten von Zeichen: ikonische und abstrakte. Ikonische Zeichen sind intuitive, bildhafte Gesten. Bei Gegenständen ähneln die Gesten der Form, Vorgänge werden nachgeahmt. Ikonische Zeichen können daher meist auch Laien verstehen.

Nicht verwunderlich, dass sich auch Babys mit ikonischen Zeichen leichter tun, da sie sich einfacher verknüpfen lassen (dies zeigt sich z.B. in der Studie von Thompson et al. 2012). Beispiele sind die Gesten für den Schmetterling (Hände machen den Flügelschlag nach) oder für «trinken»/»Durst» (Hand wird in der Form zum Mund geführt, als würde sie einen Becher halten).

Abstrakte Zeichen sind dagegen willkürlich zugeordnet. Aus der Geste ist nicht intuitiv ablesbar, worum es geht. Die Zuordnung muss schlichtweg erlernt werden. Das fällt auch Babys schwerer. Ein Beispiel ist das Zeichen für «spielen»: Beide Hände werden mit gespreizten Fingern vor den Körper gehalten und geschüttelt. Ohne die Zuordnung zu kennen, lässt sich schwer erahnen, was gemeint ist. Solche Zeichen brauchen in der Regel viel mehr Wiederholungen bis ein Baby sie verinnerlicht hat – wenn es sie übernimmt.

Abgesehen von dieser Einteilung gibt es Zeichen, die koordinativ für Babys leicht nachzumachen sind und andere Zeichen, die eher kompliziert sind. Einfache Zeichen beherrschen Babys schon recht früh. Gibt es ein einfaches Zeichen für ein schwierig auszusprechendes Wort (z.B. «Spinne», Zeichen: mit den Fingern krabbeln), greifen Kinder häufig gerne und länger auf die Gebärde zurück. Schwierige Zeichen wenden Kinder teils nicht früher an, als sie auch das Wort sprechen. Dies ist natürlich immer vom Zeitpunkt des individuellen Spracherwerbs abhängig: Lernt ein Kind spät sprechen, kann es länger (und stärker) von der Zeichensprache profitieren als Kinder, die früh zu sprechen beginnen.

Können Kinder früher sprechen, wenn sie Baby-Zeichensprache gelernt haben?

  • Basierend auf der vorhandenen Forschung lässt sich nicht nachweisen, dass die Zwergensprache den Spracherwerb fördert.
  • In Einzelfall-Studien wird ein Effekt angenommen, aber Einzelfälle sind schwer auf die Allgemeinheit zu übertragen.
  • Ein Gruppen-Vergleich legt nahe, dass es keine längerfristigen Auswirkungen gibt.

Verfechter schreiben der Zwergensprache einen beschleunigenden Effekt auf den Spracherwerb zu. Dieser Punkt wird sehr häufig aufgeführt und ist auch in wissenschaftlichen Studien der am meisten untersuchte Zusammenhang.

Eine recht frühe und bekannte Studie ist die Arbeit von Holmes und Holmes (1980). In ihrer Fallstudie begleiten sie einen hörenden, typisch entwickelten Jungen, dessen Eltern (ebenfalls hörend) beide Lehrpersonen für Gehörlose sind und daher die Gebärdensprache fliessend beherrschen. Von Geburt an sprechen sie akustisch mit ihrem Sohn und zeigen ihm zusätzlich die Zeichen der Gebärdensprache. Holmes und Holmes (1980) vergleichen die Sprachentwicklung des Jungen mit den durchschnittlichen Fortschritten beim Spracherwerb. Dazu ziehen sie die Ergebnisse der Nelson-Studie (1973) zum Vergleich heran. Nelson (1973) erfasste Kennzahlen zur Sprachentwicklung (normal entwickelter) Kinder in den USA (z.B. den Zeitpunkt, wann 10 Wörter gesprochen wurden). In der Langzeit-Studie wurden 18 Kinder begleitet.

Der von Holmes und Holmes (1980) beobachtete Junge erreicht 10 gesprochene Wörter 3.1 Monate früher als der Durchschnitt der Kinder in der Nelson-Studie. Die ersten 50 Wörter schafft er mit 14 Monaten und damit 3.6 Monate früher als das Durchschnittskind.

Dieser Einzelfall lässt sich allerdings schwer auf die Allgemeinheit übertragen. Erstens ist es eben nur ein einzelner Fall und kein verlässlicher Durchschnittswert. Ein Einzelfall kann immer eine Ausnahme sein. Unter den von Nelson (1973) beobachteten Kindern gab es ebenfalls einzelne Kinder, die zum gleichen Zeitpunkt 50 Wörter sprachen – genauso wie der Junge aus der Holmes-und-Holmes-Studie (1980). Und das ganz ohne Zeichensprache. Zudem verfügt auch die Vergleichsstudie von Nelson (1973) mit 18 beobachteten Kindern nicht über eine grosse Fallzahl. Auch diese Ergebnisse können Schwankungen unterliegen.

Dass der Junge bei der Sprachentwicklung weiter war als andere, lässt sich also nicht so einfach an der Verwendung der Gebärdensprache festmachen. Es könnten genauso gut andere Ursachen ausschlaggebend gewesen sein. Laut Nelson (1973) hat bspw. Einfluss auf die Sprachentwicklung, wie viele Erwachsene (regelmässig) mit dem Kind kommunizieren und wie die Geschwisterkonstellation ist. Solche möglichen weiteren Einflussfaktoren wurden in der Analyse von Holmes und Holmes (1980) gar nicht berücksichtigt. Weiteres zum Einfluss auf die Sprachentwicklung und welche Förderung Sinn macht, lest ihr hier.

Hinzu kommt, dass als Einzelfall ein Fall gewählt wurde, der in seiner Konstellation eher speziell ist. Beide Eltern waren Lehrkräfte für Gebärdensprache. Nicht gerade die Durchschnittsfamilie. Da könnten auch noch weitere Faktoren im Umgang und in der Kommunikation mit dem Kind eine Rolle gespielt haben, die in anderen Familien nicht gegeben sind, auch wenn sie dieselben Gebärden zeigen würden.

Kurzum: Man kann aus dieser Einzelfall-Analyse von Holmes und Holmes (1980) nicht folgern, dass die Zeichensprache einen positiven Effekt auf die Sprachentwicklung hat.

Auch weitere Studien mit sehr kleinen Fallzahlen wie z.B. Bonvillian et al. (1983) oder Anderson und Reilly (2002) lassen positiven Einfluss auf den Spracherwerb vermuten, bieten aber kein repräsentatives Datenmaterial und lassen keine gesicherten (auf die Allgemeinheit übertragbaren) Erkenntnisse zu. Gerade die Sprachentwicklung ist ja sehr individuell (wie oben bereits geschildert).

In der Langzeit-Studie von Goodwyn et al. (2000) zeigt sich bei einem Gruppenvergleich, dass sich der Gebrauch der Baby-Zeichensprache kurzfristig positiv auf den Spracherwerb auswirken kann. Ab einem Alter von 30 Monaten verschwindet der Effekt allerdings.

Was wurde gemacht? Die Forscher bildeten aus insgesamt 103 Babys drei Gruppen: Die Babys der ersten Gruppe erhielten von ihren Eltern Zeichensprache-Training, die Babys der zweiten Gruppe Sprach-Training und die der dritten Gruppe nichts dergleichen (Kontrollgruppe). Zum Studienstart waren die Babys 11 Monate alt und sprachlich normal entwickelt (per Test abgeklärt). Die Babys/Kleinkinder wurden zu verschiedenen Messzeitpunkten (mit 11, 15, 19, 24, 30, 36 Monaten) hinsichtlich ihrer Sprachentwicklung getestet. Zu den mittleren Test-Zeitpunkten hatten die Kinder, die Gebärden-Training erhielten, tatsächlich einen etwas grösseren Wortschatz. Der Unterschied war jedoch nur gering und verlor sich ab 30 Monaten komplett.

Es gibt basierend auf der Studie von Goodwyn et al. (2000) keine Anhaltspunkte, dass Kinder längerfristig von einem Zeichensprache-Training profitieren.

Auch in neueren Studien – z.B. Fitzpatrick et al. (2014) oder Seal und DePaolis (2014) – kann kein Langzeit-Effekt der Baby-Zeichensprache auf den Spracherwerb nachgewiesen werden.

Ein Baby gestikuliert. Quelle: Shutterstock.

Gibt es andere längerfristige Vorteile der Zwergensprache?

  • Nein, es gibt keine nachgewiesenen (direkten) Langzeiteffekte der Baby-Zeichensprache auf die Entwicklung (oder das Intelligenzniveau).
  • Aber: Es ist durchaus vorstellbar, dass indirekte positive Effekte entstehen, weil sich die Eltern durch die Zeichensprache sehr intensiv mit dem Kind beschäftigen, was sich wiederum positiv auf die Entwicklung auswirkt.

Neben möglichen Vorteilen beim Spracherwerb wurde der Baby-Zeichensprache ebenfalls schon ein positiver Einfluss auf die Intelligenz zugeschrieben. Was ist dran? Lässt sich durch Baby-Zeichen die Intelligenz steigern?

Es gibt keine wissenschaftliche Studie, die verlässlich bestätigt, dass Baby-Zeichensprache die Intelligenz fördert. Bei einem Intelligenz-Test, den das Forscherteam um Professorin Goodwyn im Nachgang zu ihrer Langzeitstudie (Goodwyn et al. 2000, oben beschrieben) durchführte, schnitten die Kinder, die die Baby-Zeichen gelernt hatten, zwar besser ab als andere. Der Test wurde acht Jahre nach der Hauptstudie durchgeführt. Lag das bessere Abschneiden der Kinder wirklich am Zeichensprache-Training? Das ist zumindest fraglich.

Schauen wir uns ein wenig das Studiendesign an: Positiv ist, dass die Kinder zu Beginn der Studie per Zufallsprinzip auf die Gruppen verteilt worden sind. Das reduziert störende Effekte möglicher anderer Einflussgrössen wie etwa Familienkonstellationen, Bildung und Berufe der Eltern etc. Besser wäre es aber gewesen, Störvariablen aktiv auszuschalten (z.B. zu kontrollieren, dass die entsprechenden Merkmale in allen Gruppen gleich verteilt sind).

Ein Problem könnte auch sein, dass die Intelligenz der Kinder durch andere Variablen beeinflusst wird als der Spracherwerb im Kleinkindalter. Die Studie war auf die Beobachtung des Sprechen Lernens im Kleinkindalter ausgelegt – nicht auf die Intelligenz-Abklärung acht Jahre später. Laut Nelson (1973) scheinen etwa Bildungs- und Berufsstand der Eltern keinen (direkten) Einfluss auf den Spracherwerb im Kleinkindalter zu haben. Das Abschneiden in einem Intelligenztest könnte aber durchaus durch solche Grössen beeinflusst werden.

Es könnte ebenfalls sein, dass sich die Eltern der gut abschneidenden Kinder mehr Zeit für die Kinder nahmen, sich intensiver mit ihnen beschäftigten (bedingt durch die Zeichensprache oder andere Motive) o.ä. Eventuell hat die Zeichensprache einen indirekten Effekt: Durch das Üben und Anwenden der Zeichen beschäftigen sich die Eltern intensiver mit dem Kind, wodurch die Entwicklung (und die Intelligenz) gefördert wird. Aber auch das ist nur eine Annahme.

Zudem fand der Intelligenztest acht Jahre nach der Hauptstudie statt. Niemand weiss, was in dieser Zeit geschah. Vielleicht fanden Ereignisse statt, die sich stark auf das Abschneiden beim Intelligenztest auswirken.

Nicht zuletzt war das Teilnehmerfeld geschrumpft, weil nicht mehr alle Kinder aufzufinden und bereit waren, am Test teilzunehmen. Auch das kann Verzerrungen verursachen.

Es bräuchte demnach grosse und genau auf diesen Zusammenhang ausgelegte Studien, um zu untersuchen, ob sich die Zwergensprache tatsächlich auf die Intelligenz auswirkt. In der vorhandenen Forschungsliteratur findet sich kein verlässlicher Beweis.

In der Literatur gibt es zudem Hinweise darauf, dass die Zwergensprache eine gute Bindung (zu den Eltern oder Hauptbezugspersonen) sowie soziale Interaktionsfähigkeit bedingt. Auch hier: Einen (sicheren) Beweis für einen direkten Einfluss kann ich in der wissenschaftlichen Literatur nicht finden. Aber auch bei diesen Punkten macht ein indirekter Einfluss durchaus Sinn. Intensivierte Interaktion mit dem Kind (durch das Üben und Anwenden der Zwergensprache) fördert die Entwicklung.

Erleichtert die Baby-Zeichensprache den Alltag mit Baby/Kleinkind?

  • Die Zwergensprache kann eine Hilfe bei der Kommunikation mit dem Baby sein.
  • Das A und O ist, feinfühlig zu interagieren und auf das Baby einzugehen – Zeichensprache scheint dies zu bedingen.
  • Trotzanfälle lassen sich auch mit Baby-Zeichensprache nicht (vollständig) verhindern.

Lasst uns zusammen folgende kurze Szene betrachten: Elias (18 Monate) sitzt im Sandkasten. Plötzlich lässt er seine rote Schaufel fallen und formt mit Unterarmen und Händen ein grosses Dach vor der Brust – er möchte nach Hause. «Okay», sagt seine Mama, lächelt und steht auf.

Ohne Baby-Zeichensprache hätte es hier genauso gut ein Missverständnis geben können – und aus Frust einen Trotzanfall. Oder? Lassen sich Trotzanfälle also verhindern, wenn das Baby/Kleinkind mittels Zwergensprache erklären kann, was Sache ist?

Das wäre schön. Ganz vermeiden lassen sich Trotzattacken aber leider auch mit Baby-Gebärden nicht. Doch die Zwergensprache kann in manchen Fällen eine Hilfe sein. Es kommt immer darauf an, was der Auslöser ist. Nicht selten sind Missverständnisse der Grund für Trotzattacken. Das Baby möchte etwas mitteilen und wird falsch verstanden bzw. wird sein Verhalten falsch gedeutet. Oder, noch schlimmer: Ihm wird gar nicht «zugehört». Das findet ein Baby natürlich blöd, was es prompt lautstark zum Ausdruck bringt. Wenn das Baby dagegen mittels gelernter Gesten ausdrücken kann, was es möchte, kann es für die Eltern einfacher sein, das Baby zu verstehen und auf es einzugehen. Hier können die Baby-Zeichen also tatsächlich eine Erleichterung sein.

Aber es geht bestimmt auch anders. Denn was es vor allem braucht, um die Bedürfnisse eines Babys zu verstehen, ist Aufmerksamkeit und Feinfühligkeit.

Was, wenn Elias im obigen Beispiel keine Baby-Gebärden gekonnt hätte? Er hätte sicher trotzdem irgendwie gezeigt, dass er nach Hause möchte! Ganz bestimmt. Denn alle Babys wollen kommunizieren!

Es liegt in der Natur jedes Babys, sich per Zeichen mitzuteilen, wenn das Sprechen noch schwierig ist. Denn es will seine Bezugspersonen teilhaben lassen – sobald es das kann. Wenn ein Baby beispielsweise irgendwo eine Katze sieht, zeigt es darauf, um die Mama darauf aufmerksam zu machen, was es gerade entdeckt hat. Ein anderes Beispiel: Wenn ein Baby am Boden sitzt und hochgenommen werden möchte, streckt es seiner Mama oder seinem Papa beide Arme entgegen.

Wenn es meiner eigenen einjährigen Tochter irgendwo nicht gefällt und sie gehen möchte, deutet sie zur Tür, will mich mit zur Tür ziehen oder sie packt alles in den Rucksack und schiebt ihn mir zu. Auch das sind eindeutige Zeichen.

Elizabeth Kirk und ihre Forschungskollegen stellten in einer Vergleichsstudie 2012 fest, dass Mütter, die in der Kommunikation mit ihren Kindern Baby-Zeichen gebrauchten, feinfühliger und prompter auf das Gestikulieren ihrer Kinder reagierten als andere Mütter. Mit «Gestikulieren» ist hier nicht Baby-Zeichensprache gemeint. Eventuell werden Eltern durch das Baby-Zeichen-Training ihrem Baby gegenüber generell aufmerksamer und womöglich geschulter/besser darin, ihr Baby zu lesen (vgl. Kirk et al. 2012). Das macht das Baby zufriedener (weil es schneller verstanden wird), was den Alltag erleichtern kann.

Schwierig ist es mit Gefühlen. Denn Gefühle können Babys noch nicht zeigen. Wenn also ein zehn Monate altes Baby Bauchweh hat, kann es das weder mit Hilfe von Babyzeichen noch mit «intuitiven» Baby-Gesten zeigen. Es fehlen ihm schlichtweg die nötigen Entwicklungen im kognitiven und sozialen Bereich. Auch ein Einjähriger kann noch nichts über seinen Gemütszustand mitteilen. (vgl. babyzeichensprache.ch, 2.2021) Hier hilft nur, das Baby oder Kleinkind aufmerksam zu beobachten, zu raten oder nach dem Ausschlussprinzip vorzugehen.

Trotzanfälle, die (rein) auf Gefühlen/Emotionen basieren, sind daher schwierig zu vermeiden. Da können auch Baby-Zeichen nicht helfen.

Natürlich kann man nicht immer alles sofort nach den spontanen Wünschen des Kindes richten, aber häufig hilft es schon, dem Kind zu zeigen und zu sagen, dass man es verstanden hat, und zu erklären, warum es damit noch ein wenig warten muss. Frustration sollte (wann immer möglich) vermieden werden – das fördert die emotionale Entwicklung.

Familien können im Alltag Vorteile durch die Zwergensprache haben, aber es gibt keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die solche Effekte bestätigen. Manche Beobachtungen legen Vorteile nahe, aber es ist unklar, ob tatsächlich die Baby-Zeichensprache ausschlaggebend war.

Wenn es keine nachweisbaren Vorteile gibt: Macht Zwergensprache dann überhaupt Sinn?

  • Gesten sind auf jeden Fall sinnvoll und waren schon immer Teil der Kommunikation mit Babys.
  • Für die Kommunikation kann man spontane Gesten oder Zeichen der Zwergensprache verwenden. Keines hat Vorteile.
  • Wichtig ist, auf das Kind einzugehen, wenn es sich mitteilen will.
  • Auch Kinder, die keine Zwergensprache gelernt haben, können ganz viel kommunizieren.

Wenn den Baby-Zeichen keine ausgesprochenen (messbaren) Vorteile nachgewiesen werden können, macht es dann trotzdem Sinn, die Zwergensprache zu gebrauchen?

Lasst uns dazu ein bisschen ausholen: Es liegt in unserer Natur, zu gestikulieren. Seit jeher sind Gesten ein wichtiger Teil der Kommunikation zwischen Babys/Kleinkindern und Erwachsenen. Baby-Zeichen sind also im Prinzip eine ganz natürliche Sache. Sie fördern einen intensiven Austausch mit dem Baby, welcher wiederum soziale Fähigkeiten bringt und das Selbstvertrauen stärkt. Beides sehr wichtig für die Entwicklung.

Ob man nun die Gebärden der Baby-Zeichensprache gebraucht oder lieber anders mit dem Baby kommuniziert, kann sich jeder selbst aussuchen. Wichtig ist, dass man intensiv mit ihm kommuniziert (mit Blickkontakt), prompt und feinfühlig auf seine Mitteilungs-Versuche reagiert und es zur Kommunikation animiert, so der Tenor der Forschung. Dazu ist nötig, das Baby gut zu beobachten, um seine Körpersprache und sein Gestikulieren besser (und schneller) deuten zu können. Verstärktes Gestikulieren kann die Kommunikation unterstützen – das Baby übernimmt gerne die ein oder andere Geste.

Kurzum: Das Baby lässt auch ohne Baby-Zeichensprache wissen, was es will, und man kann auch ohne Zwergensprache gut mit dem Baby kommunizieren, wobei Gestikulieren wertvoll ist. Aber die Baby-Zeichensprache kann Eltern helfen, sein Baby einfacher zu verstehen – sei es durch die gelernten Gebärden selbst oder die gesteigerte Aufmerksamkeit. Ausserdem kann es Spass machen, seinem Baby Zeichen beizubringen und ihm beim Lernen zuzuschauen. Man kann gemeinsam einen Kurs besuchen, mit Reimen, Liedern, Musik und – ganz wichtig – anderen Kindern und Eltern. Von gemeinsamen, positiven Erlebnissen profitieren alle.

Ein Baby reibt die Augen und gibt damit zu verstehen, dass es müde ist. Quelle: Shutterstock.

Kann es negative Folgen haben, wenn man Baby-Zeichensprache übt?

  • Nein, es gibt keine Hinweise auf negative Einflüsse, so lange das Üben richtig dosiert geschieht.
  • Die Kinder lernen aufgrund der Zeichensprache nicht später sprechen.
  • Der Prozess des Zeichen-Lernens darf keinesfalls in Stress ausarten.

Der Gebrauch der Baby-Zeichensprache scheint die natürlichen Entwicklungsschritte beim Spracherwerb nicht beschleunigen zu können – aber kann er sie stören?

Johnston et al. (2005) beschreiben in ihrem Literatur-Review, dass bei zu viel Training tatsächlich ein Eingriff in die natürliche Lern- oder Entwicklungsabfolge passieren kann. Denn jeder Schritt sei für irgendetwas sinnvoll und das Einhalten der Reihenfolge essentiell. Zum Beispiel steht der Spracherwerb gar nicht zu jedem Zeitpunkt im Vordergrund. Es gibt allerdings auch hier keine verlässlichen Zahlen, die die Aussage untermauern. Johnston et al. (2005) schreiben in ihrem Artikel selbst, dass sie auf statistische Berechnungen verzichten, da die Parameter der zugrundeliegenden Studien zu unterschiedlich seien und die Methodik mehrheitlich schwach sei. Für Johnston et al. (2005) stellt sich die Frage, warum man denn in den Entwicklungsprozess eingreifen soll, wenn die Entwicklung des Kindes normal ist.

An dieser Stelle ist es gut, sich ins Gedächtnis zu rufen, was die Idee der Baby-Zeichensprache eigentlich ist – oder nicht ist. Die Baby-Zeichensprache ist nämlich nicht als Instrument der Früh-Förderung gedacht, als welches sie manche übereifrigen Eltern missverstehen. Die Zwergensprache soll ein Mittel sein, um sich mit dem Baby/Kleinkind möglichst gut austauschen zu können. Das stärkt die Bindung, was der Entwicklung zu Gute kommt. (vgl. babyzeichensprache.ch, 2.2021)

Zu viel Eifer kann schnell auch in Stress ausarten – damit sind wir beim nächsten Problem, welches das Üben der Zwergensprache mit sich bringen kann. Und zwar kann es Stress auf Seiten der Eltern geben, wenn sie es bspw. nicht schaffen, das Trainingstempo zu halten, das die Literatur rät, oder/und auf Seiten des Babys, das unter Druck gerät und mit Frust zu kämpfen hat (vgl. Johnston et al. 2005). Allen Ehrgeiz in Ehren – man darf nicht zu viel wollen. Das geht bekanntlich nach hinten los. Eigentlich soll die Zwergensprache doch gerade frustrierende Situationen vermeiden. Und erzwingen lässt sich sowieso nichts.

Wenn der Gebrauch der Baby-Zeichensprache aber in einem guten Mass stattfindet, so dass es Eltern und Kind Freude bereitet, sind keine negativen Folgen zu erwarten. Skeptiker geben immer wieder zu bedenken, dass den Kindern das Interesse fehlt, die gesprochene Sprache zu lernen, da sie sich auf die Zeichen verlassen. Doch da scheint nichts dran zu sein: In all den Studien, die die Sprachentwicklung vergleichen, finden sich keine Hinweise, dass durch Baby-Zeichen Verzögerungen entstehen.

Wie ist die Baby-Zeichensprache entstanden?

Zum Schluss noch ein paar Worte zur Entstehung und Entwicklung der Zwergensprache:

Die ersten Wurzeln der Baby-Zeichensprache reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Damals beobachtete der US-amerikanische Sprachwissenschaftler William Dwight Whitney, dass Kinder gehörloser Eltern bereits im Alter von 6 Monaten anfingen, per Zeichen zu kommunizieren – viel früher als sich andere Kinder gezielt mitteilen können. Zudem waren sie beim Sprechen Lernen gleichauf mit Kindern hörender Eltern. (vgl. babysignlanguage.com, 2.2021)

Erst in den 1980ern wurde der Ansatz wiederentdeckt: Es wurde beobachtet, dass Kinder aus Familien, in denen neben der gesprochenen Sprache auch Gebärdensprache praktiziert wurde (z.B. weil ein Elternteil gehörlos war), die Zeichen nutzten, lange bevor sie die ersten Worte sprachen. Laut den Eltern konnten ihre Kinder auch früher sprechen als Gleichaltrige.

Einer der Wegbereiter der Baby-Zeichensprache war Dr. Joseph Garcia (aus den USA). Er sah, wie das Kind seiner gehörlosen Freunde schon mit sechs Monaten via Zeichen mit seinen Eltern kommunizierte, und mit neun Monaten ein grösseres Vokabular hatte als manch Zweijähriger. Basierend auf dieser Beobachtung begann er, Kindern hörender Eltern Zeichensprache beizubringen und entwickelte daraus schliesslich ein Unternehmen. (vgl. babysignlanguage.com, 2.2021)

In der Folge entstanden mehrere (Einzel-)Fallanalysen, die dem Gebrauch der Baby-Zeichensprache kurz- und langfristige Vorteile zusprachen (z.B. von Goodwyn/Acredolo, Holmes/Holmes), wodurch die Zwergensprache immer populärer wurde. Vivian König brachte die Idee schliesslich nach Deutschland und arbeitete ein deutschsprachiges Konzept aus.

Weiterführende Links (extern):

Ein kleines Resümee…

Es ist schön und wichtig, von Anfang an zu versuchen, sich mit dem Baby auf Augenhöhe auszutauschen. Verstärktes Gestikulieren kann bei der Kommunikation mit Babys sehr hilfreich sein – und ist eine ganz natürliche Sache. Schon unsere Vorfahren setzten auf Gesten. Die Baby-Zeichensprache bietet einen Ansatz dazu, an dem man sich orientieren kann. Langfristige Vorteile lassen sich der Zwergensprache aber nicht nachweisen (Kinder lernen weder früher zu sprechen, noch werden sie intelligenter oder haben ein grösseres Vokabular), auch Trotzanfälle kann sie nicht vermeiden.

Genauso gut wie mit Baby-Gebärden kann man mit intuitiven, pantomimischen Gesten arbeiten. Für eine gute (Sprach-)Entwicklung (langfristig) und zur Geringhaltung von Frustration (kurzfristig) kommt es vor allem darauf an, auf das Kind einzugehen und sich um einen Austausch zu bemühen. Die Zwergensprache scheint Eltern dazu zu animieren, ihr Kind genauer zu beobachten und prompter und feinfühliger zu reagieren – notwendig ist sie dazu aber nicht.

Natürlich gibt es noch einige weitere grössere und kleinere Studien zum Thema Baby-Zeichensprache, die in diesem Beitrag keine Erwähnung gefunden haben. Ich habe hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchte einen Überblick zum Thema bieten. Wenn ihr weitere interessante Forschungen zum Thema kennt, dürft ihr gerne die Kommentarfunktion nutzen. Natürlich dürft ihr auch einfach eure Meinung zum Thema Zwergensprache schreiben. Oder ihr habt vielleicht eigene Erfahrungen gemacht? Ich freue mich auf eine interessante Diskussion!

In meinem Artikel zum Sprachlernprozess könnt ihr nachlesen, welche Faktoren das Sprechen-Lernen beeinflussen und was für Eltern wichtig ist.

Wer sich die Zeichen der Zwergensprache gerne aneignen möchte, findet auf der Homepage der Zwergensprache GmbH Informationen zu Kursen und zur Literatur-Bestellung.

Quellenangaben

Anderson, D., und Reilly, J. (2002). The MacArthur Communicative Development Inventory: Normative Data for American Sign Language. The Journal of Deaf Studies and Deaf Education, Volume 7, Issue 2, April 2002, 83-106.

Bonvillian, J., Orlansky, M., & Novack, L. (1983). Developmental Milestones: Sign Language Acquisition and Motor Development. Child Development, 54(6), 1435-1445.

Fitzpatrick, E., Thibert, J., Grandpierre, V., Johnston, C. (2014). How HANDy are baby signs? A systematic review of the impact of gestural communication on typically developing, hearing infants under the age of 36 months. First Language, 34, 6, 486-509.

Gericke, W. (2009). BabySignal – Mit den Händen sprechen. Spielerisch kommunizieren mit den Kleinsten. München: Kösel -Verlag.

Goodwyn, S.,  Acredolo, L., Brown, C. (2000). Impact of symbolic gesturing on early language development. Journal of Nonverbal Behaviour, 24, 81-103.

Holmes, K.M. and Holmes, D.W. (1980). Signedand spoken language development in a hearing childof hearing parents. Sign Language Studies, 28, 239-254.

Johnston, J., Durieux-Smith, A., Bloom, K. (2005). Teaching gestural signs to infants to advance child development: A review of the evidence. First Language, 25, 235-251.

Kirk, E., Howlett, N.,  Pine, K.,  Fletcher, B. (2012). To Sign or Not to Sign? The Impact of Encouraging Infants to Gesture on Infant Language and Maternal Mind‐Mindedness. 84 (2), March/April 2013 (erste Publikation 2012).

Nelson, K. (1973). Structure and strategy in learning to talk. Monographs of the Society for Research in Child Development, 38(1-2, 149), 136.

Seal, B., and DePaolis, R. (2014). Manual Activity and Onset of First Words in Babies Exposed and Not Exposed to Baby Signing. Sign Language Studies, 14(4), 444-465.

Thompson, R., Vinson, D., Woll, B., Vigliocco, G. (2012). The Road to Language Learning Is Iconic: Evidence From British Sign Language. Psychological Science, 23(12), 1443–1448.

babysignlanguage.com, Zugriff 10. Februar 2021

babyzeichensprache.ch, Zugriff 6. Februar 2021

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