Immer mehr Geburten werden medikamentös eingeleitet. Als Grund werden das steigende Alter der Gebärenden und dadurch häufigere (drohende) Schwangerschaftskomplikationen genannt. Es gibt aber auch immer mehr Einleitungen, die nicht medizinisch notwendig sind.
Doch das Einleiten ist nicht ohne: Es existieren zahlreiche kurz- und langfristige Folgen und Risiken. Eine künstliche Geburtsauslösung durch Medikamente macht zudem häufig weitere Eingriffe in die Geburt (wie Anästhesie und Saugglocke) nötig.
Welche Risiken gehen von einer medikamentösen Geburtseinleitung aus? Welche Folgen gibt es für Mutter und Kind? Wird heutzutage zu schnell in den natürlichen Verlauf eingegriffen?
Mehr als ein Viertel der vaginalen Geburten werden hierzulande eingeleitet – Tendenz steigend (vgl. z.B. Bundesamt für Statistik, 2017). Immer häufiger wird also nicht abgewartet, bis die Geburtswehen natürlich einsetzen, sondern sie werden künstlich ausgelöst.
Wie lassen sich Geburtswehen auslösen?
Es existieren verschiedene Methoden zur Geburtseinleitung: Zur künstlichen Einleitung werden am häufigsten Medikamente verwendet, die sich auf den Muttermund auswirken oder direkt Kontraktionen auslösen. Auf diese Verfahren bezieht sich dieser Artikel.
Es gibt daneben auch mechanische Methoden, wie das Durchbrechen der Membran (Anstechen der Fruchtblase), schonende Methoden wie die Muttermund-Dehnung (auch Eipollösung oder Zervix-Stripping genannt) oder das Einführen eines Ballon-Katheters und alternative Methoden wie den Rizinuscocktail.
Zudem existieren auch Möglichkeiten, den Geburtsstart natürlich in Gang zu bringen: Dazu zählen Geschlechtsverkehr, die Stimulation der Brustwarzen und Bewegung. (vgl. French, 2012)
Unter welchen (medizinischen) Umständen wird eine Einleitung erwogen / empfohlen?
Es gibt durchaus Situationen, in denen es medizinisch ratsam ist, eine Geburt einzuleiten oder zu beschleunigen, damit keine Gefahren-Situation für Mutter und/oder Baby entsteht. Zu einer Geburtseinleitung wird etwa geraten, wenn eine Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung) oder eine andere Komplikation wie Diabetes oder Bluthochdruck vorliegt. Auch wenn das Baby zum Ende der Schwangerschaft hin nicht mehr richtig wächst oder wenn die Schwangerschaft über die normale Dauer hinausgeht (und Komplikationen drohen), kann eine Einleitung sinnvoll sein. (vgl. French, 2012)
Zudem empfiehlt die WHO, eine Geburt 24 Stunden nach einem vorzeitigen Blasensprung einzuleiten, wenn sie bis dahin nicht selbst startet, da die Gefahr einer (aufsteigenden) Infektion besteht (vgl. WHO, 2011). Studien zeigen tatsächlich, dass sich die Gefahr einer schweren Infektion (Chorioamnionitis, Endometritis) und das Risiko, dass das Baby auf die neonatale Intensivstation verlegt werden muss, durch eine Geburtseinleitung bei einem vorzeitigen Blasensprung ab der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche signifikant reduzieren lassen (vgl. Dare et al., 2006). Über die Art und Weise der Einleitung (medikamentös oder andere Mittel) äussert sich die WHO dabei übrigens nicht.
In den letzten 10 bis 20 Jahren gab es einen steilen Anstieg der Geburtseinleitungen, so dass künstlich herbeigeführte Geburten heute an der Tagesordnung sind. Früher wurden Geburten massiv seltener eingeleitet. (vgl. Bundesamt für Statistik, 2017)
Warum gibt es immer mehr Geburtseinleitungen?
Zum einen werden die Gebärenden durchschnittlich immer älter – und damit die Schwangerschaften und Geburten komplikationsreicher. Es ist bekannt und statistisch erwiesen, dass mit steigendem Alter der Frauen vermehrt Schwierigkeiten während der Schwangerschaft und der Geburt auftreten (können) (vgl. z.B. Tallarek/Stephan, 2020).
Zum anderen versucht man vermehrt, Kaiserschnitte zu vermeiden. Dazu wird eine Geburt im Zweifel lieber frühzeitig eingeleitet, damit ein Kaiserschnitt nicht notwendig wird. An Zahlen lässt sich sehen, dass durch Einleitungen Kaiserschnitte umgangen werden können. Seit ein paar Jahren verzeichnen wir sinkende Kaiserschnittraten. (vgl. Bundesamt für Statistik, 2017)
Ist die steigende Zahl der Geburtseinleitungen positiv oder negativ zu werten?
Nun: Die Verhinderung von Kaiserschnitten ist erst einmal positiv zu werten – denn ein Kaiserschnitt stellt einen grösseren Eingriff dar. Kaiserschnitt-Kinder haben häufiger mit Anpassungsschwierigkeiten zu kämpfen und sind eher anfällig für gesundheitliche Probleme. Zudem treten nach einem Kaiserschnitt in einer Folgeschwangerschaft häufiger Komplikationen auf. (Zu den negativen Folgen eines Kaiserschnitts siehe diesen Artikel.)
Doch es ist auch klar: Von allen Medikamenten und Methoden, die zur künstlichen Geburtseinleitung und Geburtsbeschleunigung genutzt werden, gehen ebenfalls Risiken und Nebenwirkungen aus. Vorschnell sollte demnach nicht eingeleitet werden. Die WHO macht deutlich: Einleitungen sollten (wie Kaiserschnitte und andere Eingriffe in die Geburt) nur durchgeführt werden, wenn ein medizinischer Grund vorliegt (vgl. WHO, 2018).
Dazu sei gesagt, dass auch die Zahl der Geburtseinleitungen ohne (direkte) medizinische Indikation stark ansteigt: Nicht selten wird früh eingeleitet oder eine Geburt stark beschleunigt, obwohl eigentlich keine Komplikationen vorliegen oder drohen, die diese Schritte notwendig gemacht hätten. Mitunter geht der Wunsch nach einer Einleitung von den Frauen selbst aus, die nicht über den Geburtstermin hinweg abwarten wollen.
Dabei sind die künstlich erzeugten Wehen für viele Frauen sehr quälend und weitaus belastender als ein natürlicher Geburtsverlauf. Auf den Wehentropf folgt daher häufig die PDA und nicht selten eine Saugglocken-Geburt, da es durch Überanstrengung zum Geburtsstillstand kommt. Findet aufgrund der medikamentösen Behandlung eine Überstimulation statt, kann diese dem Baby massiv schaden (vgl. French, 2012).
Warum verläuft eine eingeleitete Geburt oft anders als eine natürliche?
Die natürlich beginnende Geburt
Für den Geburtsbeginn ist das sogenannte «Neuro-Hormon» Oxytocin notwendig. Gegen Ende der Schwangerschaft wird das Hormon vermehrt gebildet – von der Mutter, aber auch in der Plazenta und direkt vom Kind selbst. Stimuliert wird die Produktion von hormonellen Veränderungen im Körper der Mutter sowie durch die Reize, die der Druck des Kindes auf den Muttermund auslöst. Oxytocin setzt an der Gebärmuttermuskulatur an und startet den Beginn der Wehen. Auch im weiteren Verlauf der Geburt kommt Oxytocin eine zentrale Rolle zu, indem es die Wehentätigkeit steuert und für einen guten «Wehenrhythmus» sorgt. (vgl. Magon/Kalra, 2011)
Oxytocin bleibt übrigens auch nach der Geburt wichtig: Es gilt als «Bindungshormon», das für die Herstellung der essentiellen Mutter-Kind-Bindung zentral ist. Ausserdem sorgt es dafür, dass die Milchproduktion und der Milcheinschuss ausgelöst werden, indem es Kontraktionen in den Milchgängen anregt. Durch das Zusammenziehen der Milchdrüsen wird die Milch in Richtung Brustwarzen befördert. (vgl. Magon/Kalra, 2011)
Beim natürlichen Geburtsbeginn werden die Wehenstärke sowie die Häufigkeit der Wehen über Stunden langsam gesteigert (vgl. z.B. Artal-Mittelmark, 2019). Die Wehentätigkeit versetzt den Körper in natürlichen Stress. Als Reaktion auf den Wehenschmerz setzt der Körper Katecholamine (Adrenalin, Noradreanlin und Dopamin), die auch als «Stresshormone» bekannt sind, frei. Das ist ganz normal und passiert auch in allen möglichen anderen Stresssituationen. Die Besonderheit der Freisetzung unter der Geburt ist folgende: Die Katelochamine werden rhythmisch (im Rhythmus der Wehen) freigesetzt. (vgl. Schmid, 2003)
Diese rhythmische Freisetzung bewirkt im Körper die weitere Produktion von Oxytocin sowie (wenn der Schmerz eine bestimmte Intensität erreicht) die Ausschüttung von Endorphinen. Endorphine gelten als das körpereigene Schmerzmittel, denn sie haben eine schmerzunterdrückende Wirkung. Je stärker die Wehen und der Schmerz, desto mehr Endorphine werden bereitgestellt, desto höher liegt der Endorphin-Spiegel im Blut. Dadurch steigt die Schmerztoleranz im Verlauf der Geburt ganz natürlich an. Die starken Wehenschmerzen zum Ende der Geburt wären zu Beginn nicht oder kaum auszuhalten. (vgl. Schmid, 1998)
Auch im Fruchtwasser sind Endorphine übrigens stark konzentriert. Der Schmerz der Mutter und die daraufhin ausgelöste Endorphin-Ausschüttung wirkt also auch auf das Kind und sorgt für weniger Schmerz beim Kind und das Ausbleiben eines Geburtstraumas. (vgl. Schmid, 1998).
Mit der beschriebenen hormonellen Wirkungskette während der Geburt (Oxytocin – Katecholamine – weiteres Oxytocin und Endorphine) sorgt der Körper also selbstständig dafür, dass die Wehen einerseits angeheizt werden, der Schmerz aber abgefedert wird. Die Pausen zwischen den Wehen sind dabei genauso wichtig wie die Wehen selbst – die Endorphin-Ausschüttung hemmt die Wehen und lässt die Frauen durchatmen. Nur so sind sie in der Lage, die Schmerzen während der Wehen auszuhalten. Nur durch das natürliche Wechselspiel aus Wehe und Wehenpause kann eine Geburt natürlich erfolgreich verlaufen. (vgl. Schmid, 2003)
Die Wehen kommen zudem nicht immerzu regelmässig; es gibt natürlicherweise auch längere Wehenpausen, in denen sich Mutter und Baby erholen können. So sammeln sie neue Kraft für den Fortgang der Geburt. Bei natürlich beginnenden und ohne Eingriff verlaufenden Geburten kommen Frauen daher nicht selten ohne Anästhesie aus.
Was läuft bei einer eingeleiteten Geburt anders?
Anders sieht es bei künstlich eingeleiteten Geburten aus: Sie starten wie ein Schock, treffen den mütterlichen Körper (sowie das Kind) völlig unvorbereitet. Durch die Medikamente werden oft spontan auftretende, heftige Wehen ausgelöst. Die vorhandene Endorphin-Menge ist viel zu gering, um die plötzlichen, heftigen Schmerzen abzufedern. Der Körper kann in anhaltenden Stress verfallen.
Gerät die Mutter unter der Geburt in Stress, werden Katelochamine kontinuierlich abgegeben (nicht rhythmisch). Dies ruft keine Oxytocin/Endorphin-Ausschüttung hervor, sondern hemmt gar die körpereigene Oxytocin-Produktion. Es gibt keinen abgestimmten Rhythmus, da die Wehen nicht von körpereigenen Hormonen und Reizen gesteuert werden. Das endokrine Gleichgewicht gerät aus den Fugen. (vgl. Schmid, 2003)
Es ist daher kaum verwunderlich, dass Gebärende nach einer künstlichen Einleitung öfters nach einer Schmerzmedikation verlangen, häufig läuft es auf eine PDA (Periduralanästhesie) hinaus. Bei dieser Narkosetechnik wird die Weiterleitung der Schmerzsignale vom Rückenmark zum Gehirn gezielt unterbunden. Die Spritze erfolgt in den unteren Rücken, genauer gesagt in den Periduralraum, der das Rückenmarkt umgibt.
Künstlich hervorgerufene Wehen verlaufen des Weiteren oft ohne Pausen, so dass die Mutter kaum durchatmen kann und auch das Kind vermehrt in Stress gerät. Kommen die Wehen pausenlos sehr schnell hintereinander, wird dies als «Wehensturm» bezeichnet. Dazu kann es zwar auch ohne Eingriffe in die Geburt kommen, die dauerhaften Kontrakationen treten nach Einleitungen aber gehäuft auf.
Da die Durchblutung der Plazenta während eines «Wehensturms» häufiger und stärker reduziert ist als bei einer normalen Geburt, nimmt das Kind weniger Sauerstoff auf, was mitunter zu Sauerstoffmangel und sinkenden Herztönen führen kann. Da die Gebärmuttermuskulatur überanstrengt ist, übersäuert sie, wodurch sich der PH-Wert im Blut ändert – und zwar bei Mutter und Kind. Kinder, die so zur Welt kommen, zeigen oft schlechtere APGAR-Werte. (vgl. Cadwell/Brimdyr, 2017) Die Apgar-Einstufung beurteilt den allgemeinen Gesundheitszustand eines Babys kurz nach der Geburt. Durch die Wiederholung des Tests lässt sich erkennen, wie gut (und schnell) sich das Kind an das Leben ausserhalb des Mutterleibes anpassen kann.
Kommt es zu einem «Wehensturm», ist (nach einem oft rasanten Start) noch mehr Eile geboten: Damit das Kind keinen Schaden nimmt, muss es möglichst schnell aus dieser Situation befreit werden. Entweder wird die vaginale Geburt in solch einer Situation weiter vorangetrieben, ggf. unter Einsatz weiterer Hilfsmittel wie die Saugglocke. Oder aber es wird ein Kaiserschnitt eingeleitet.
Falls ein «Wehensturm» abgewartet wird (oder werden kann), kommt es in der Folge aufgrund der Überanstrengung häufig zu einer Pause bzw. einem starken Nachlassen der Wehen. So kann es passieren, dass zum Ende der Geburt hin nicht mehr genügend Wehen vorhanden sind und wiederum der Einsatz zusätzlicher Hilfsmittel nötig werden oder ein Kaiserschnitt durchgeführt werden muss. (vgl. Cadwell/Brimdyr, 2017)
Bei künstlich eingeleiteten Geburten werden ebenfalls mehr Komplikationen wir Gebärmutterrisse, Plazentaablösungen und heftige Blutungen nach der Geburt (weil sich die Plazenta nicht so gut zusammenzieht) verzeichnet. Dies steht in Zusammenhang mit dem erhöhten Aufkommen hyperaktiver Wehentätigkeit («Wehensturm»).
Natürlich ist die Komplikationsrate umso höher, je unvorbereiteter Mutter und Kind getroffen werden. Wird von Null eingeleitet, ist eher mit einem schwierigen Geburtsverlauf zu rechnen. Wird eine bereits beginnende Wehentätigkeit verstärkt, sind die mütterlichen Prozesse bereits aktiviert und Kind und Mutter eher auf die Geburt eingestellt. Eingriffe können das Zusammenspiel und den Rhythmus dennoch durcheinander bringen.
Welche Medikamente und Verfahren werden zur Geburtseinleitung verwendet und welche Risiken/Nebenwirkungen haben sie?
Je nach Stand der Geburt kommen unterschiedliche (medikamentöse) Verfahren zum Zuge, um eine Geburt einzuleiten oder die Wehentätigkeit zu verstärken. Verbreitet ist die Gabe synthetischer Hormone.
Noch keine Wehentätigkeit und geschlossener Muttermund: künstliche Prostaglandine
Prostaglandine sind Hormone, die sowohl von Männern als auch von Frauen natürlicherweise gebildet werden. Sie kommen in der Samenflüssigkeit des Mannes vor und werden in bestimmten Zellen des Muttermundes gebildet. Vor und während einer Geburt bildet der Organismus der Gebärenden vermehrt Prostaglandine. Die Hormone sorgen dafür, dass der Muttermund weich wird und sich weitet. Indirekt werden so auch die Wehen angeregt. (vgl. Stadelmann, 1994)
Die Prostaglandine in der Samenflüssigkeit sind (neben der mechanischen Stimulierung) ein Grund, warum Geschlechtsverkehr die Geburtseinleitung bedingen kann. Die auslösende Stimulation erfolgt jedoch nur, wenn die Gebärmutter für die Geburt bereit ist. (Es droht also keine Frühgeburt durch Geschlechtsverkehr – zumindest bei komplikationsfreien Schwangerschaften.)
Auch um eine Geburt künstlich auszulösen, macht man sich die Funktion der Prostaglandine zunutze und setzt künstliche Prostaglandine ein. Die künstlich gebildeten Hormone werden vor allem dann verabreicht, wenn die Wehentätigkeit noch gar nicht im Gange oder noch nicht weit fortgeschritten ist.
Bei einer künstlichen Verabreichung von Prostaglandinen kommt Prostaglandin E1 (Misoprostol) oder Prostaglandin E2 zum Einsatz. Beide sind bekannt dafür, dass die späteren Wehen unnatürlich ablaufen. Gerade bei ersterem kann sehr schnell eine heftige Wehentätigkeit eintreten und es kommt vergleichsweise häufig zum Wehensturm.
Prostaglandin E1
Prostaglandin E1 (Misoprostol) wurde eigentlich als Mittel gegen Magengeschwüre entwickelt. Die Geburtsauslösende Wirkung wurde per Zufall entdeckt. Lange gab es keine Produkte mit Zulassung für die Geburtshilfe. Dennoch hat das Medikament schnell Einzug in zahlreiche Geburtskliniken gehalten – unter so genanntem «Off-Label-Use». In Kritik geraten ist das Misoprostol-Produkt «Cytotec», nachdem mehrere Fälle von Gebärmutterrissen (Uterusrupturen), gefährlichen Überstimulationen (uterine Tachysystolie) und Problemen des kindlichen Herzrhythmus im Zusammenhang mit der Anwendung von Cytotec in der Geburtshilfe bekannt wurden (vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2020). Cytotec ist faktisch ein Magenschutzmittel und als dieses zugelassen. Die Tabletten, die eigentlich nicht zur Teilung vorgesehen sind, wurden in der geburtshilflichen Praxis geteilt – die korrekte Dosierung ist so nicht gewährleistet (vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2020). Hochdosiert ist Cytotec auch für Abtreibungen eingesetzt worden.
Es gibt seit einigen Jahren jedoch auch für die Geburtshilfe zugelassene Misoprostol-Produkte. Eines davon ist «Misodel». Dabei handelt es sich um Vaginal-Inserts. Sie werden in die Scheide eingelegt und geben den Wirkstoff in einer konstanten Rate frei. Dennoch werden auch bei diesem Produkt massive Nebenwirkungen beschrieben. So können exzessive Wehen entstehen, die nicht mit wehenhemmenden Mitteln zu bremsen sind, da sie nicht auf diese anspringen. Überstimulationen (Wehensturm) können für das Kind gefährlich (sogar lebensgefährlich) sein. Falls sich der Wehensturm durch Entfernen des Inserts nicht stoppen lässt, wird bei anhaltender Gefahr für das Kind ein Kaiserschnitt durchgeführt (vgl. Ärzteblatt, 2017).
Prostaglandin E2
Prostaglandin E2 kann oral, als Vaginal-Zäpfchen oder Vaginal-Gel verabreicht werden und wird normalerweise verwendet, wenn der Muttermund noch ganz geschlossen ist. Es kann mitunter sehr lange dauern, bis es tatsächlich zur Geburt kommt. Auch Prostaglandin-E2-Produkte können zudem am Ende Überstimulationen verursachen. Des Weiteren rufen sie laut Studien relativ häufig Magen-Darm-Probleme bei der Mutter (z.B. Erbrechen) hervor (vgl. z.B. French, 2012).
Beschleunigung des Geburtsverlaufs: künstliches Oxytocin
Die Wichtigkeit von (natürlichem) Oxytocin für die Geburt habe ich bereits zuvor beschrieben (siehe unter «Die natürlich beginnende Geburt»).
Oxytocin lässt sich ebenfalls künstlich produzieren und kann Frauen intravenös verabreicht werden (wird auch als «Wehentropf» bezeichnet). Durch die Gabe des künstlichen Oxytocins wird die Wehentätigkeit gefördert bzw. werden (stärkere) Wehen provoziert.
Vincent du Vigneaud war der Erste, dem die Synthetisierung von Oxytocin gelang. 1955 gewann er den Chemie-Nobelpreis, unter anderem für Oxytocin-Herstellung. Schon bald machte ein Pharmaziekonzern ein kommerzielles Produkt daraus, das schnell Eingang in die klinische Praxis fand. In der Aufschwung-Zeit nach dem 2. Weltkrieg kam den Industrienationen ein Produkt gelegen, mithilfe dessen sich ein bislang unplanbarer Prozess wie die Geburt koordinieren und terminisieren liess (vgl. Cadwell/Brimdyr, 2017).
Künstliches Oxytocin wird in der Regel eingesetzt, wenn die Geburt bereits eingeläutet wurde und der Verlauf beschleunigt werden soll. Kennzeichen für einen bereits begonnenen Geburtsstart sind: Der Muttermund ist weich und evtl. schon etwas geöffnet, der Gebärmutterhals hat sich verkürzt.
Durch die intravenöse Verabreichung kann die Dosierung des künstlichen Oxytocins jederzeit und sehr fein angepasst werden. Es bleibt jedoch ein Problem: Wie zuvor beschrieben verläuft die (natürliche) Hormon-Ausschüttung während der Geburt in wechselnden Schüben. So wird ein hormoneller Wechsel-Rhythmus erzielt, aus Wehen und Wehenpausen. Das künstliche Oxytocin fliesst dagegen gleichmässig, ohne Pausen, ins Blut – der Rhythmus des Körpers gerät durcheinander, Aktionen und Antworten passen nicht mehr zusammen. Durch die gleichmässige Anregung droht eine Überstimulation des Uterus, ein «Wehensturm», der für das Kind gefährlich werden kann (wie zuvor beschrieben). (vgl. Cadwell/Brimdyr, 2017)
Die Mütter können nach der Gabe von Oxytocin unter weiteren akuten Nebenwirkungen leiden: Von 100 Frauen entwickeln eine bis zehn Frauen Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Herzrhythmusstörungen, Blutdruck- und Kreislaufprobleme (schneller oder langsamer Puls). (vgl. Clanner-Engelshofen, 2017)
Zudem kann das künstliche Oxytocin auch weitreichendere bzw. längerfristige negative Folgen haben. Und dies für Mutter und Kind. Denn der synthetische Stoff geht (wie auch das natürlich produzierte Hormon) auf das Kind über.
Wie bereits kurz erwähnt, gilt Oxytocin auch als Bindungshormon. Während und nach der (natürlichen) Geburt haben Mutter und Baby natürlicherweise einen hohen Oxytocin-Spiegel. Während des Stillens und beim Kuscheln mit Hautkontakt etc. schütten Mütter (auch Väter) und Babys zusätzlich Oxytocin aus. Man geht davon aus, dass dies für die Entstehung einer guten Mutter-Kind-Bindung essentiell ist.
Nun: Gemäss wissenschaftlichen Studien kann dies nur natürliches Oxytocin bewirken. Künstliches Oxytocin im Blut von Mutter und Baby kann dagegen laut Wissenschaftlern sogar hinderlich sein und das Gegenteil bewirken: Bindungsstörungen.
Warum?
Aufgrund der hohen Dosis künstlichen Oxytocins kann das Oxytocin-System gestört werden. So wird der Körper nicht dazu animiert, genügend natürliches Oxytocin zu produzieren. Der Platz ist quasi schon belegt. Doch das künstliche Produkt kann die Bindungsaufgabe nicht übernehmen.
In Studien wurde festgestellt, dass Mütter, die während der Geburt hohe Dosen Oxytocin erhalten haben, am zweiten Tag nach der Geburt wenig körpereigenes Oxytocin im Blut hatten. Es ist davon auszugehen, dass das gesamte Oxytocin-System aus den Fugen gerät, was sich in Unter- und Überfunktion ausdrücken kann. Zudem könnten die Oxytocin-Rezeptoren Veränderungen erleiden, nachdem das künstliche Produkt angedockt hat, wie manche Forscher vermuten. Aus wissenschaftlichen Studien geht hervor, dass bei Frauen, die unter einer hohen Dosis künstlichen Oxytocins entbunden haben, der Milchspendereflex häufiger behindert ist, ein höheres Risiko für postnatale Depressionen besteht und (bis ein Jahr nach Geburt) häufiger Angststörungen auftreten. (vgl. Cadwell/Brimdyr, 2017)
Beim Baby können sich hohe Dosen künstlichen Oxytocins negativ auf die natürlichen Reflexe auswirken. Es wurde beobachtet, dass Kinder nach der Entbindung die Brust schlechter finden, weniger effektiv saugen und weniger klare Hungerzeichen zeigen. Diese Faktoren können den Stillstart erschweren. (vgl. Cadwell/Brimdyr, 2017)
Künstliches Oxytocin kommt übrigens nicht nur zur Geburtseinleitung und Wehenverstärkung bei vaginalen Geburten zum Einsatz. Auch bei Kaiserschnitten wird häufig Oxytocin verabreicht. Zugelassen ist das Mittel ebenfalls zur Vorbeugung von Blutungen und zur Beschleunigung der Plazentaausstossung nach der Geburt. Zudem gibt es ein Oxytocin-Nasenspray, das die Milchejektion stimulieren soll (vgl. Cadwell/Brimdyr, 2017).
Unnötige Einleitungen: Werden Geburten zu schnell medikamentös beschleunigt?
Das Ziel jeder künstlichen Geburtseinleitung sollte klar sein: Eine Verbesserung des Outcomes für Mutter und Kind. Ein Massfaktor ist die Zahl der Totgeburten bzw. die Zahl der Todesfälle während der Geburt. In Deutschland sind diese Zahlen seit 2005 ca. gleich geblieben – während der Anteil der Geburtseinleitungen massiv anstieg. (vgl. Schwarz et al., 2016)
Daraus direkt zu folgern, dass Einleitungen komplett unnötig seien, wäre falsch. Schliesslich sank in dieser Zeit (wie oben beschrieben) die Kaiserschnittrate. Es ist davon auszugehen, dass der Anstieg der Einleitungen tatsächlich einen Teil der Kaiserschnitt-Reduktion möglich machte. Aber dies betrifft eben nur einen überschaubaren Anteil aller Geburtseinleitungen.
Insgesamt scheinen zu viele Geburtseinleitungen durchgeführt zu werden (wie auch immer noch zu viele Kaiserschnitte – siehe dazu diesen Artikel). Zu viele bedeutet: Es wird nicht nur dann eingeleitet, wenn eine Einleitung das Resultat verbessert, also Mutter und Kind hilft. Es wird auch eingeleitet, wenn dadurch keine Verbesserung erzielt wird bzw. erzielt werden kann, die eine Einleitung rechtfertigt. Sprich: Mutter und Kind wären ohne den Eingriff in den Geburtsverlauf genauso gut (oder besser) gefahren.
Warum kommt es zu unnötigen Einleitungen?
Erstens findet der grösste Teil der Einleitungen (bei uns) aufgrund von Übertragung bzw. Verstreichens des errechneten Geburtstermins ohne Geburtsanzeichen statt. Denn startet die Geburt nach einer definierten Anzahl Tage (Zeitraum von Land zu Land etwas unterschiedlich) nicht von selbst, wird in der Regel eingeleitet – auch wenn es Mutter und Kind gut geht. Dies ist die gängige Praxis, die jedoch unter Forschern, Hebammen und auch Ärzten umstritten ist. Es gibt Studien, aus denen hervorgeht, dass grundsätzliches Einleiten bei Überschreiten des Geburtstermins die Säuglingssterblichkeit (bei Geburt) senke. Andere Studien sehen diesen Zusammenhang nicht und sprechen dagegen von einer erhöhten Komplikationsrate nach Einleitungen.
Zweitens gibt es gar nicht wenige Frauen, die sich selbstständig dazu entschliessen, die Geburt einleiten lassen zu wollen, wenn sie den Geburtstermin überschritten haben oder ihm nur nahe kommen. Sie können oder wollen nicht mehr abwarten, obwohl es natürlich wäre. Auch wenn es dafür sicherlich nachvollziehbare Gründe und Konstellationen gibt, sind solche Geburtseinleitungen normalerweise nicht medizinisch angezeigt. Es ist ausserdem fraglich, ob das Abwarten oder ein womöglich schwieriger Geburtsverlauf nach einer Einleitung psychisch schwieriger zu ertragen sind.
Geht es bei einer Geburt nicht wie gewünscht voran oder gerät sie ins Stocken, werden in Kliniken schnell wehenfördernde Mittel verabreicht. Natürlich gibt es Situationen, in denen die Verabreichung medizinisch angezeigt ist. Aber der immense Anteil künstlich beschleunigter Geburten lässt erahnen, dass nicht nur in indizierten Fällen Medikamente zur Wehenverstärkung gegeben werden.
Warum werden immer mehr Geburten beschleunigt?
In den Richtlinien der WHO wird betont, dass Geburten, die lediglich langsamer verlaufen als andere, keiner Einleitung bedürfen. Solange es keine Komplikationen gibt und Kind und Mutter fit sind, muss ein Geburtsverlauf nicht künstlich beschleunigt werden, nur weil sich etwa der Muttermund nicht pro Stunde einen Zentimeter öffnet, wie es im Lehrbuch geschrieben steht. Die WHO plädiert ebenfalls dazu, die Frauen während der Geburt stärker in Entscheidungen miteinzubeziehen. (VGl. WHO, 2018)
Es ist dennoch gängige Praxis. Sehr lange dauernde Geburten sind für Kliniken wirtschaftlich nicht interessant. Die Ökonomisierung des Gesundheitssystems bedingt frühe Eingriffe zur Beschleunigung. Viele Geburtsstationen sind zudem voll.
Jung (2017) beschreibt das Spannungsfeld, in dem Geburten stattfinden: Da ist zum einen die Ökonomisierung der Geburtshilfe sowie der massive Umbau der geburtshilflichen Versorgungsstruktur und zum anderen der Aufstieg der Selbstbestimmung rund um die Geburt.
Ein kleines Resümee…
Mit der medikamentösen Geburtseinleitung ist es wie bei vielem: eine Abwägungssache. Geburten einleiten zu können, ist wunderbar, wenn man diese Möglichkeit dort einsetzt, wo es medizinisch Sinn macht. Nämlich dann, wenn ein medizinischer Grund vorliegt. Wenn für Mutter und/oder Baby Gefahr droht, falls man der Natur ihren Lauf lässt. Wenn dadurch ein Kaiserschnitt verhindert werden kann, da dies ein grösserer Eingriff in die Geburt darstellt. In solchen Fällen überwiegen klar die Vorteile eines künstlichen Eingriffs in die Geburt.
Ohne medizinische Notwendigkeit dagegen fallen lediglich die Nachteile ins Gewicht. Denn alle Arten künstlicher Einleitung haben Risiken und Nebenwirkungen. Die WHO spricht nicht ohne Grund eine klare Empfehlung aus, nur bei tatsächlicher Notwendigkeit einzuleiten.
Nun ist es natürlich nicht immer einfach, zu beurteilen, ob sich in bestimmten Fällen Gefahrensituationen entwickeln werden. Für Laien schon gar nicht, aber auch für Mediziner nicht. Lohnt es sich abzuwarten oder muss am Ende eine (Not-)Kaiserschnitt durchgeführt werden? Könnte sogar das Leben des Kindes in Gefahr sein? Dennoch ist davon auszugehen, dass hierzulande zu viele Geburten eingeleitet werden. Neben der evtl. zu schnell greifenden Deklaration als «medizinische Indikation» gibt es ja auch gewünschte Einleitungen. Und dies gar nicht so selten.
Nach einer Einleitung wird der Geburtsverlauf einer Frau oft aus der Hand genommen. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, in den Strudel aus Wehentropf, Wehensturm, Anästhesie, Erschöpfung und der Notwendigkeit weiterer Geburtseingriffe zu geraten. Das ist das Gegenteil einer natürlichen, selbstbestimmten Geburt, wie man sie sich vorstellt. Keine schöne Erfahrung, wie ich finde. Ob es in unserem Fall nötig war? Ich weiss es nicht.
Was denkt ihr zum Thema Geburtseinleitung? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Ich freue mich auf einen interessanten Austausch!
Quellenangaben
Artal-Mittelmark, R. v. (2019). Geburtswehen. MD, Saint Louis University, School of Medicine. Unter: https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-frauen/wehen-und-entbindung/geburtswehen.
Ärzteblatt (RME) (2017). Uterine Tachysystolie unter Misoprostol. Unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/83690/Uterine-Tachysystolie-unter-Misoprostol.
Bundesamt für Statistik (2017). Entbindungen und Gesundheit der Mütter im Jahr 2017. Unter: https://www.bfs.admin.ch/bfsstatic/dam/assets/8369420/master.
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2020). Unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2020/rhb-cytotec.pdf;jsessionid=5C57FD512F75667ECA89BB7A68556D91.intranet232?__blob=publicationFile.
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